Kataklysmische Veränderliche

Einführung

Mehr als die Hälfte aller Sterne sind in Mehrfachsystemen und Doppelsternen eingebunden. Doppelsterne bestehen aus zwei Sternen, die um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisen -- ähnlich den Planeten, die um die Sonne ihre Bahnen ziehen.

Eine spezielle Klasse dieser Doppelsterne bilden die Kataklysmische Veränderlichen (CV cataclysmic variable). Sie sind enge halbgetrennte Doppelsternsysteme. Eng insofern, daß das gesamte System innerhalb der Sonne Platz hätte. Halbgetrennt besagt, daß von dem einen Stern, dem Sekundärstern, Materie auf den anderen Stern, dem Primärstern, überströmt --- gr. Überschwemmung. Die transferierte Materie besitzt relativ zum Primärstern Drehimpuls. Die Materie wird somit über eine Scheibe von dem Primärstern aufgenommen. Diese Scheibe wird Akkretionsscheibe genannt, ein Phänomen, das nicht nur in CVs sondern auch in anderen astronomischen Objekten, wie AGN (activ galactic nuclei) und protostellaren Scheiben eine Rolle spielt. Dort, wo der Materiestrom auf die Akkretionsscheibe trifft, wird sehr viel Energie in Form von Strahlung freigesetzt. Es ensteht der sogenannte Heiße Fleck oder hot spot.


Beobachtungen

Dieses oben skizzierte Modell kann so nicht unmittelbar von der Erde aus beobachtet werden. Diese engen Doppelsterne sind viel zu weit weg, um mit den besten Teleskopen in ihren Komponenten aufgelöst werden zu können.

Trotzdem findet die Modellvorstellung über die Beobachtung ihre Berechtigung. Die Beobachtung kann in Form von Lichtkurven oder Spektren vorliegen. Beide liefern eindeutige Indizien für das beschriebene Bild der CVs.





Lichtkurve und ihre Merkmale




Lichtkurven sind Helligkeitsmessungen, die in einem Messdiagramm gegen die Zeit aufgetragen werden. Die Abbildung zeigt eine typische Lichtkurve eines CVs. Die markanten Eigenschaften der Lichtkurve und deren Bezug zur Modellvorstellung sind gekennzeichnet. Da der Primär- und der Sekundärstern um den gemeinsamen Schwerpunkt rotieren, kann es je nach Bahnneigung zur gegenseitigen Bedeckung der beiden Sterne kommen, was sich in einer veränderlichen Lichtkurve mit Bedeckungsminima äußert.

Diese Bedeckungsstruktur wiederholt sich mit der sogenannten Bahnperiode des Systems. Die Bahnnperiode ist die Zeit, die für eine volle Umkreisung der Sterne umeinander benötigt wird, sie beträgt in der Regel einige Stunden.




Spektren und deren Analyse




Spektren erhält man, indem man das beobachtete Licht durch ein brechendes Medium schickt. Solche brechenden Medien können Prismen oder Gitter sein, die in den Spektrographen eingebaut sind.

Spektren erlauben Rückschlüße auf die stoffliche Zusammensetzung des strahlenden Objekts, sobald Linien erkennbar sind. Spektrallinien lassen sich durch ihre Wellenlänge, Form, etc. charakterisieren. Da jedes lichtaussendende chemische Element in charakteristischen Wellenlängen abstrahlt, besteht somit ein direkter Zusammenhang zu der stofflichen Zusammensetzung des beobachteten Sterns.

Befindet sich die Strahlungsquelle in Bewegung, so kann sich in den aufgenommenen Spektren der Dopplereffekt bemerkbar machen. Der Dopplereffekt verursacht eine Frequenz- bzw. Wellenängenverschiebung.

Dieser Effekt ist auch aus dem Alltag her bekannt. Wenn z.B. ein Feuerwehrauto an einem vorbeifährt, hört man die Sirene bei der Anfahrt erst mit hohen Tönen, die bei Entfernung zu tiefen Tönen hin abfallen.

Umgekehrt liefert die zeitliche Variation der Wellenlänge einer Spektrallinie Information über die Art der Bewegung der Strahlungsquelle. Stellt man z.B. eine sinusförmige Variation fest, so heißt das, daß die Quelle sich abwechselnd vom Beobachter weg und wieder auf ihn zu bewegt.
Genau so eine Variation wird in den Spektren der Kataklysmischen Veränderlichen registriert, was in der Abbildung im oberen Fenster zu erkennen ist. Hier ist die zeitliche Anordnung einer Serie von Spektren in einer Spektrallinie dargestellt (die Zeitachse zeigt nach oben, die Wellenlänge nach rechts). Eigentlich sieht man scheinbar zwei Linien, was auf der Doppleraufspaltung der Spektrallinie beruht. Weiterhin ist deutlich das sinusförmige Hinundherwandern der Linie zu sehen.

  1. Wie läßt sich dieses Linienverhalten nun deuten?
  2. Es zeigt sich also, daß die spektralen Eigenheiten der von einem Kataklysmischen Veränderlichen aufgenommenen Linie auf den Dopplereffekt zurückführen lassen. Auf dieser Tatsache baut die von Keith Horne (St. Andrews) und Tom Marsh (Sussex) entwickelte Analysemethode Doppler-Tomographie auf.

    Die Doppler-Tomographie rekonstruiert nun ein zweidimensionales Bild der Akkretionsscheibe, basierend auf den beobachteten Spektren und der oben skizzierten Deutung der spektralen Variationen (mittleres Fenster der Abbildung).

    Die Scheibe ist hier im Geschwindigkeitsraum dargestellt, was mit der Vorgehensweise der Methode zusammenhängt. Die Wellenlänge ist, wie schon gesehen, direkt mit der Geschwindigkeit korreliert. Die einzelnen Spektren lassen sich als Projektionen der Scheibe im Geschwindigkeitsraum im Licht der Spektrallinie auf den Himmelshintergrund auffassen.

    Aus der so rekonstruierten Scheibe, kann zur Kontrolle die Modell-Spektrenserie rückgerechnet werden, die noch im unteren Fenster zu sehen ist.




Modellvorstellung realer enger Doppelsterne


Im Folgenden sind Beobachtungen von drei verschiedenen kataklysmischen Veränderlichen wiedergegeben: IP Pegasi (IP Peg), OY Carinae (OY Car) und U Geminorum (U Gem).

Der erste, IP Peg, wurde am Observatorium Wendelstein der Universitätssternwarte München mit dem an der selben Sternwarte entwickelten Vielfarben-Mehrkanal-Photometer (MCCP) beobachtet. Mit dem selben Photometer wurden die Messungen für den zweiten und dritten Doppelstern durchgeführt, nur diesmal an der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile.

Die beiden ersten Doppelsternsysteme unterscheiden sich kaum in der Bahnneigung (Inklination), jedoch um so mehr in deren Massenverhältnis q = M2/M1 (M1: Masse des Primärsterns M2: Masse des Sekundärsterns). Die Größe des Massenverhältnis hat eine direkte Auswirkung auf die Ausdehnung des Sekundärsterns, die bedeckende Komponente. Je kleiner das Massenverhältnis, desto kleiner der Sekundärstern.

OY Car besitzt ein kleineres Massenverhältnis als IP Peg, dessen Sekundärstern ist somit kleiner. Das Zusammenspiel aus Größe des Sekundärsterns und Scheibenradius bewirkt unterschiedliche Strukturen in den Bedeckungslichtkurven. In OY Car sind die Verhältnisse so, daß der Primärstern und der Heiße Fleck nacheinander bedeckt werden -- es sind sowohl beim Eintritt in die Bedeckung als auch beim Austritt jeweils eine Stufen zu sehen.

Bei IP Peg sieht man nur eine Stufe während des Austritts aus der Bedeckung. Beim Eintritt liegen Primärstern und Heißer Fleck auf einer Linie, die somit den einfachen tiefen Helligkeitsabfall zu Beginn der Bedeckung verursachen.

Der letzte Kandidat verdeutlicht das Verhalten der Lichtkurve bei einer geringeren Bahnneigung. Bei U Gem beträgt sie ca. 70 Grad (im Gegensatz zu ca. 80 Grad bei den anderen beiden), was dazu führt, daß der Weiße Zwerg nicht von dem Sekundärstern bedeckt wird. In der Lichtkurve ist keine Bedeckungsstufe mehr zu sehen. Der Helligkeitseinbruch um die Phase 0 ist allein auf die Abdeckung der Scheibe und des Heißen Flecks zurückzuführen.

Der starke Helligkeitsanstieg vor der Bedeckung spiegelt in allen drei Lichtkurven die anisotrope Abstrahlung des Heißen Flecks wieder, der am Rand der Scheibe entsteht, dort wo der Materiestrom von der großen ausgedehnten Doppelsternkomponente auf die Akkretionsscheibe trifft.

ipf.gif oyf.gif ugf.gif
IP Peg
OY Car
U Gem

(Klicken auf die Bilder aktiviert die jeweilige Animation. Die Animationen basieren auf einem von Keith Horne entwickelten Programm.)


Gruppenmitglieder: Dr. Heinz Barwig, Dipl.-Phys. Andreas Bobinger, Dipl.-Phys. Alexander Fiedler, Dipl.-Phys. Hauke Fiedler, Dr. Karl-Heinz Mantel, Dr. Sebastian Wolf

email: Heinz Barwig (hbarwig@usm.uni-muenchen.de)